Spitzen [4]

[215] Spitzen (dentelle – lace), flächenförmig ausgedehnte, vorwiegend als Randbesatz verwendete Erzeugnisse der Textilindustrie, die so aus Fäden, Gezwirnen, Geflechten, Geweben und Gewirken zusammengesetzt sind, daß infolge geeigneter Gruppierung dieser Elemente auf einem durchbrochenen Grund künstlerisch gestaltete Muster gebildet werden.

Die Erzeugungsart, die formale Ausgestaltung des Grundes und des Müllers, das allgemeine und besondere, bei der Herstellung zur Anwendung gebrachte Arbeitsverfahren und endlich das verwundete Material (Leinen, Baumwolle, Seide, Wolle, Gold- und Silbergespinst) bestimmen die einzelnen Spitzenarten. Wahrend der Erzeugungsort vornehmlich im Handelsverkehr das die Spitzen bestimmende Merkmal bildet, nach welchem man beispielsweise italienische, französische, englische, spanische, niederländische, deutsche, russische, bezw. Venetianer, Genueser, Chantilly-, Cluny-, Maliner, Brüsseler, Valencienner, Brabanter, Idrianer Spitzen unterscheidet, bilden die formale Ausgestaltung des Grundes und Musters insonderheit die Unterscheidungsmerkmale in künstlerischer, die Herstellungsverfahren diejenigen in technischer Beziehung.

In künstlerischer Hinsicht ist namentlich der Stilcharakter des Musters ausschlaggebend. Nach ihm pflegt man die Spitzen einzuteilen in Spitzen im mittelalterlichen Stil (vor und bis 1550), geometrischen (1550–1620), Renaissance- (1620–1720), Rokokostil (1720–1770), im Stil Louis XVI. und der französischen Revolution (1770–1810). Die Muster alter Spitzen sind in der Regel mehr oder weniger mit dem allgemeinen ornamentalen Stilcharakter der Periode, in welcher die Spitze verfertigt wurde, übereinstimmend; dieser kann daher mit ziemlicher Sicherheit zur Beurteilung des Alters der Spitzen dienen. Die mittelalterlichen Muster geben die symbolischen Gruppen und Figuren, die Tiergestalten, Blatt- und Blumenarabesken der Gotik wieder; der geometrische Stil ist eine Zusammenstellung von Dreiecken, Quadraten, Kreisen und Kreisteilen; der Renaissancestil zeichnet sich aus durch kunstvoll geschwungene, sich von einem regelmäßig oder unregelmäßig durchbrochenen Netzgrund abhebende Blätter- und Blumenornamente; der Rokokostil setzt an deren Stelle steife Blumenbuketts und der Revolutionsstil endlich läßt die Muster auf vereinzelte Blüten und Punkte, die sich von dem gleichmäßig gearbeiteten Grunde abheben, zusammenschrumpfen. Ein hervorragendes Unterscheidungsmerkmal der Spitzen in künstlerischer Beziehung ergibt sich ferner aus der Bildung des Grundes. Je nachdem dieser als eine gleichmäßige Erfüllung der die Musterfiguren umschließenden oder tragenden Fläche mit Zellen von regelmäßiger Gestalt und Anordnung in die Erscheinung tritt (Spitzengrund – réseau, ground of lace) oder aus wenigen, meist unregelmäßig gestalteten Zellenräumen besteht, werden Grund- oder Réseauxspitzen (Fig. 14) und Guipurespitzen (Fig. 5) unterschieden. Die Zellen des Spitzengrundes sind meist viereckig, sechseckig oder kreisförmig gestaltet und in gleicher Größe und Dichte nebeneinander geordnet. Vielfach sind sie aber auch in verschiedener Größe sternartig zusammengestellt und heben sich vermöge reicherer Gestaltung von dem den Spitzendgrund bildenden gleichförmigen Netzwerk deutlich ab. Sie[215] geben dann kunstvolle Grundarten, die häufig als sogenanntes Klarwerk auch zur Füllung undichter Teile der Musterfiguren verwendet werden. Der allgemeine Verlauf der die Spitzen zusammensetzenden Fäden folgt stets der Längenrichtung derselben. Im besonderen werden die Fäden hierbei entweder zwischen den Rändern des Spitzenstreifens hin und her geführt, oder sie bilden Wellenlinien, deren beiderseitige Ausbuchtungen nur über eine oder wenige Zellenreihen reichen. Im letzteren Fall kann der Spitzengrund durch Ausziehen weniger Fäden in der Breitenrichtung in schmale Streifen zerlegt werden. Man unterscheidet hiernach unteilbare und teilbare Grundarten. Beispiele für die ersteren sind der Tüllgrund (Fig. 6), Torchongrund, Brabanter (Fig. 10), Brüsseler und Valencienner Grund, dieser mit runden (Fig. 7), rhombischen (Fig. 9) und sternförmigen Zellen (Fig. 8, Point d'Angleterre); solche für die letzteren der Maliner Grund (Fig. 11), Kettelgrund (Fig. 12), Perlgrund (Fig. 13), Antwerpener Grund. Den Guipurespitzen fehlt der regelmäßig gebildete, die Musterfiguren nützende Grund. An seine Stelle treten hier scheinbar regellos zwischen den Figuren ausgespannte Fädenpaare, Gezwirne oder Geflechte (Stege oder brides). Die erstgenannten sind in der Regel mit andern dünnen Fäden umwickelt oder im Festonstich umnäht (Ueberspinnen, guiper). Diese Stege umgrenzen unregelmäßig gestaltete Hohlräume von verschiedener Größe. Sie sind infolge ihrer geringen Dicke gegenüber den meist kräftig hervortretenden Teilen des Musters bei der Fernbetrachtung der Spitzen nicht oder nur wenig erkennbar, so daß die in geometrischen Linien verlaufenden oder kunstvolle ornamentale Bildungen darstellenden Musterfiguren klar dem Beschauer entgegentreten. Hier erfüllen diese Stege einen vorwiegend konstruktiven Zweck, indem sie bei möglichster Beschränkung ihrer Zahl den Mustergebilden den erforderlichen Halt gewähren und sie untereinander so verspannen, daß eine die Formenschönheit derselben beeinträchtigende gegenseitige Verschiebung verhindert wird. Zuweilen werden diese Fadenstege aber auch zur kunstvolleren Ausgestaltung des Ganzen mit benutzt und dann oft mit kleinen, perlenartig vorspringenden Fadenknötchen (picots) geziert (Fig. 14 und 15). Die schönsten Beispiele für die sachgemäße Anordnung der die Muster verspannenden Fadenstege bieten u.a. die berühmten Venetianer und französischen Nadelspitzen (Point de Venise, Point de France) sowie Klöppelarbeiten von Cluny u.s.w. Im Gegensatz zu diesen alten Arbeiten lassen der Neuzeit entstammende Guipurespitzen in der Anordnung der Stege vielfach eine Zweckverkennung erblicken, indem sie dieselben zur Erzeugung eines mehr oder weniger deutlich erkennbaren Grundes benutzen.

Der Technik, d.h. dem allgemeinen und besonderen Herstellungsverfahren nach werden die Spitzen eingeteilt in Handspitzen (Dentelle à la main, Hand made lace) und Maschinenspitzen (Dentelle à la mécanique, Machine made lace), bezw. in genähte, gehäkelte, gewirkte, geknotete und geklöppelte Spitzen. Mit Ausnahme der letztgenannten Art ist bei den Handspitzen die Bildung des Grundes und der Musterfiguren aus Fadenschleifen (Maschengebilden, Geschlingen) vorherrschend, die, ineinander gehängt, linien- oder flächenförmig ausgedehnte Maschengruppen bilden, sich wohl auch zuweilen bei besonders reich gestalteten Musterungen körperlich über die Ebene der Spitzen erheben (Point de Venise). Verschiedenheit der Gestalt sowie verschiedene Dichte der Zusammenordnung dieser Maschen, die bei den Nähspitzen [216] Spitzenstiche genannt werden, bestimmen den Wechsel in der Grundbildung, der Musterumrandung und Musterfüllung, wie dies beispielsweise die Fig. 16 und 17 weisen. Hierher gehörende Maschinenspitzen werden vorzugsweise auf dem Wirkstuhl als Kettenware (warp-lace) und der Bobbinnetmaschine (s. Bobbinnet) als sogenannte Tüllspitzen (twist-lace) erzeugt. Von diesen Spitzenarten sind die meist von Hand durch Klöppeln, seltener auf der Klöppelmaschine gearbeiteten Klöppelspitzen durch die Mannigfaltigkeit der zur Grund- und Musterbildung benutzten Elemente unterschieden, die insonderheit durch Zwirnung und Kreuzung (Verschränkung) von Fäden und Fadenpaaren entstehen und als Gezwirne, Gewebe und Geflechte in der fertigen Spitze zur Erscheinung kommen.

Die Handspitzen (auch echte Spitzen genannt) bilden bezüglich ihres Baues die vollendetsten Gebilde der Textiltechnik, Unter ihnen stehen die genähten und geklöppelten in erster Linie, da die beiden Arbeitsverfahren, das Nähen und das Klöppeln, bei geschickter Ausübung die größte Mannigfaltigkeit und Schönheit der Mustergebung sowie die höchste Feinheit der Erzeugnisse ermöglichen. Zu den genähten Spitzen, Näh- oder Nadelspitzen (Dentelle à l'aiguille, Point – Point lace) gehören sowohl die ältesten, im Charakter der Stickerei ähnelnden Spitzenarten: die ausgeschnittenen Spitzen (Opus scissum – Point coupé – Punto tagliato – Cutwork), die Netz- oder Filetspitzen (Opus araneum- Point compté, Guipure d'art, Filet brodé à réprises – Lacis, Punto a maglia quadra, Punto a stuora – Spiderwork); die Ausziehspitzen (Opus tiratum – Point tiré – Punto tirato – Drawn Work – Lacis), als auch manche der schönsten Erzeugnisse der Spitzentechnik: die griechischen oder Reticellaspitzen (Point coupé – Point a reticella – Greek lace), die Venetianer und französischen Guipurespitzen (Point de Venise, Point de France) sowie die Grundspitzen von Alençon, Argentan, Brüssel u.s.w. Besondere Arten bilden die applizierten Spitzen, bei denen die gesondert durch Nähen oder Klöppeln hergestellten Musterfiguren auf einem gleichmäßig durchbrochenen Grundstoff durch Feston- oder Knotenstiche aufgeheftet sind sowie die durch Einziehen von Fäden, bezw. Einflicken von Mustern mit Platt- und Kettelstichen in einem glatten Tüllgrund entstehenden gestickten Spitzen (Durchzugarbeiten). Unter den genähten Spitzen nehmen die nur einfache geometrische Muster zeigenden Ausziehspitzen des 15. und 16. Jahrhunderts insofern eine besondere Stellung ein, als bei ihnen durch Entfernen von Fäden aus einem dichten leinwandbindigen Gewebe ein Zellengrund hergestellt und die Erhaltung der rechteckigen Zellenform desselben durch dichtes Umwinden der zurückbleibenden Fadengruppen mit einem Nähfaden gesichert ist. Von den Grundzeiten eingeschlossene Musterfiguren werden teils durch größere quadratische oder sternförmige Stoffreste gebildet, die beim Ausziehen der Fäden zurückgelassen wurden, teils entstehen sie durch Ausfüllung der Grundzeiten mit eingenähten, sich kreuzenden Fäden oder dicht an und übereinander gelegten Stichen. Gegenwärtig erfreuen sich die von der Indianerbevölkerung zu Silao in Mexiko gefertigten Auszugarbeiten eines guten Rufes.

Geklöppelte Spitzen, Klöppel- oder Kissenspitzen (Dentelle au fuseau – Merli a piombini – Pillow-lace – Bone-lace) werden vornehmlich durch Handklöppeln erzeugt. Die von Hand geführten kleinen Spulen (Klöppel oder Klöpfel), welche die zu vereinigenden Fäden tragen, bestehen aus dünnen, zylindrischen Holzstäbchen (Fig. 18 und 19), deren hinteres, mit der Hand zu fassendes Ende a keulenförmig verdickt ist, während das vordere freie Ende einen kleinen Knopf b zur Regelung des Fadenablaufes trägt. Zum Schutz des auf dem Schaft des Klöppels aufgewundenen Fadenvorrates dient bei der in Sachsen und Böhmen üblichen Klöppelform (Fig. 18) eine Hülse c (die Klöppeltüte), welche den Faden umhüllt und vor Berührung mit der Hand der Klöpplerin bewahrt. Der in Belgien und Frankreich benutzte Klöppel (Fig. 19) entbehrt diese Hülse. Zur Stützung des Arbeitsstückes dient der Klöppelsack oder das Klöppelkissen (Fig. 2022), ein zylindrisches, mit Stroh, Heu oder Sand gestopftes Polster, das in Sachsen und Böhmen auf einem kleinen ausgetieften Untergestell b ruht (Fig. 20 und 21), in Belgien und Frankreich in ein viereckiges Kissen c drehbar eingelagert ist (Fig. 22), das den nicht benutzten Klöppeln zur Auflage dient. Auf diesem Polster werden die gekreuzten Fäden an den Kreuzungsstellen durch Kopfnadeln d (Klöppelnadeln) so lange beteiligt, bis ihre gegenseitige Lage durch neue Verschränkung der Fäden gesichert ist. Die Lage der Kreuzungsstellen bestimmt hierbei ein auf der Umfläche des Klöppelkissens festgehefteter papierner Musterbrief e (die Aufwinde), welcher die betreffenden Stellen durch Nadelstiche markiert, das Muster des herzustellenden Klöppelwerks aber in einfachen Linien vorgezeichnet enthält. Bei der Herstellung langer Spitzenstreifen umschließt der Klöppelbrief das zylindrische Kissen vollständig, so daß die Arbeit unter allmählicher Weiterdrehung des Kissens um seine Längenachse ohne Unterbrechung beliebig lange fortgesetzt werden kann. Zur Breitenspannung der Spitze dienen die schräg im Kissen steckenden Randnadeln. Die Aufstecknadeln halten die nicht benutzten Klöppel außerhalb des Arbeitsbereiches der Klöpplerin paarweise geordnet. Hierdurch wird die Einbeziehung der ausgeschalteten Klöppel in den Arbeitsgang erleichtert, da die Klöppel stets paarweise zur Benutzung kommen. Sie werden während des Klöppelns teils umeinander[217] gedreht (»geworfen«) und hierdurch die Fäden paarweise verzwirnt, teils zum Zweck des »Kreuzens« der Fäden übereinander verschoben. Beide Tätigkeiten hintereinander folgend ausgeführt, liefern einen »halben Schlag«. Durch mehrfache Wiederholung der gleichen Arbeit geht der »Kreuzschlag«, »Flechtenschlag«, »Leinenschlag«, »Löcherschlag« u.a. hervor, die den Grund und das Muster der Spitze bilden. Die hierdurch ermöglichte Mannigfaltigkeit der Grundzellenbildung bedingt bei den geklöppelten Spitzen einen großen Reichtum der Mustergebung. Die Musterfiguren entstehen durch Ausheben und Wechsel im Zusammenfassen der bei der Grundbildung benutzten Fäden. Sie liegen deshalb in der Regel mit dem Grund in gleicher Ebene. Nur seiten werden zur Erhöhung der Musterwirkung einzelne Fäden bei dem Fortschreiten der Grundbildung zeitweise ausgehoben, zu selbständigen Musterfiguren verflochten (»neue Schläge«) und dann wieder in den Grund zurückgeführt, so daß die Figur auf den Grund zu liegen kommt (»aufgeklöppelte Muster«, Fig. 23). Die Mustergebilde der Klöppelspitzen bestehen aus leinwandbindigen Geweben und Geflechten, die zur reicheren Schmückung nicht seiten stellenweise mit dem schon genannten Klarwerk gefüllt sind, wie dies Fig. 24 an einer »sächsischen Maliner Spitze« zeigt. Der Einschluß des Musters in den Grund geschieht teils unmittelbar durch Uebernahme der Grundfäden in das Mustergebilde, teils wird das letztere mit einem schmalen, durchbrochenen Rand (»Leiterchen«) umsäumt (z.B. bei den Valencienner Spitzen, Fig. 2), teils mit einem starken, dem Figurenrand folgenden Musterfäden konturiert (z.B. bei den Maliner Spitzen, Fig. 4).

Aus weißer oder gelblicher Seide hergestellte geklöppelte Grundspitzen werden Blonden genannt. Bei ihnen werden die im Leinenschlag ausgeführten starkfädigen Musterfiguren von starken, zuweilen lose verzwirnten Randfäden umgrenzt und lagern auf einem feinfädigen und deshalb wenig hervortretenden Tüllgrund. In Perlgrund ausgeführte Füllungen der Durchbrechungen des Musters erhöhen den Reiz des letzteren. Blonden werden seit 1740 hergestellt. In früherer Zeit waren besonders die Blonden von Bourg-Argental, Caen, Bayeux und Chantilly geschätzt. Bei gewissen Klöppelspitzen, die dann meist den Charakter der Guipurespitzen tragen, werden die Musterungen durch mannigfach gebogene, zuweilen auch als Schleifen aus der Grundebene heraustretende schmale, geklöppelte Bänder oder Litzen gebildet, die nicht seiten zur Hebung der Wirkung noch mit Leiterchen eingerahmt sind: Litzenspitzen. Eine Unterart dieser bilden die Point lace genannten neuen Arbeiten, die durch Zusammennähen schmaler, geklöppelter, in mannigfachem Linienlauf gebogenen Litzen entstehen. Hauptorte für die Erzeugung von Klöppelspitzen waren in früherer Zeit beispielsweise: Chantilly, Valencienne, Brüssel, Mecheln, Antwerpen, Lierre, Brügge, Genua. In Mitteleuropa barg namentlich Deutschland Spitzenmanufakturen. Einen Hauptsitz der Fabrikation bildet noch heute das sächsische und böhmische Erzgebirge, wohin im Jahr 1561 Barbara Uttmann, geborene von Elterlein, das Spitzenklöppeln einführte. In der Gegenwart unterstützen hier, wie in Frankreich und Belgien, zahlreiche Spitzenschulen, in denen sowohl das Klöppeln als die Pointnäherei gelehrt wird, diese Industrie.

Der wesentliche Unterschied zwischen den Handspitzen und den auf dem Bobbinnetstuhl (Spitzenstuhl, Gardinenstuhl) gearbeiteten Maschinen- oder Tüllspitzen ergibt sich in der Verschiedenheit der zur Grund- und Musterbildung verwendeten Elemente. – Der Mannigfaltigkeit der Bildungsformen dieser Elemente in der Handspitzenerzeugung steht die Gleichartigkeit derselben bei den Maschinenspitzen gegenüber. Hier ist es allein der Wechsel in der Zusammenstellung und besonderen Anordnung dieser Elemente, welcher die, bestimmten Spitzenarten eigne, Grund- und Mustererscheinung bedingt (Fig. 2529). Dieser Wechsel ist aber ein so vielgestaltiger und vielseitiger, daß es der Maschinenspitzenfabrikation gelingen konnte, Erzeugnisse zu schaffen, die in ihrer äußeren Erscheinung denselben Charakter tragen, wie er den gleichartigen Handarbeiten eigentümlich ist, und für die oberflächliche Betrachtung, wie sie der Benutzung[218] der Spitzen entspricht, auch ein geübtes Auge zu täuschen vermag. Dahingegen läßt die technologische Untersuchung der Maschinenspitzen einen Zweifel an ihrem Ursprung nicht aufkommen.

Die Tüllspitzen sind zusammengesetzte, teils leinwandbindige, teils gazebindige, gobelinartige Gewebe; sie bestehen daher im allgemeinen aus zwei Fadensystemen, der Kette und dem Schuß, wie dies z.B. die Fig. 3032 zeigen. Die Kettenfäden laufen geradlinig oder im Zickzack der Spitze entlang und bilden im letzteren Falle das Gerippe für die zu erzeugenden Grundzeiten. Die Schußfäden erstrecken sich stets nur über den von 1–3 Kettenfäden begrenzten Raum. Hiernach gehören die Grundarten der Tüllspitzen, mit Ausnahme des eigentlichen Tülls (Fig. 6) sämtlich zu den teilbaren Grundarten. Die Herstellung von Tüllspitzen bezw. Tüllgardinen auf der Bobbinnetmaschine (1809 von Heathcoat erfunden) datiert seit Einführung der Jacquardmaschine in die Bobbinnetweberei. Der erste Vorschlag hierzu ging einem französischen Patente zufolge im Jahr 1824 von Colas et Delompuès in Lyon aus; doch erst zu Anfang der 1840 er Jahre gelang es Samuel Draper in Nottingham, die praktische Anwendung der Jacquardmaschine in der Tüllspitzenfabrikation mit Erfolg zu erzielen. Den Hauptanteil an der Maschinenspitzenfabrikation nehmen England und Frankreich; neben diesen kommen Oesterreich und in neuester Zeit, bezüglich der Anfertigung von Tüllgardinen, das Königreich Sachsen in Betracht. Den Hauptsitz der englischen Fabrikation bildet Nottingham und Umgebung; in Frankreich ist es vorzugsweise Calais und Saint-Pierre-lès-Calais, welche ausgezeichnete Tüllspitzenfabrikate liefern.

Außer auf der Bobbinnetmaschine werden in neuerer Zeit Spitzen, die sich wie die Torchonspitze (Fig. 33) durch einfache Bildungsweise des Grundes auszeichnen, auch auf der Klöppelmaschine erzeugt. Dies ist eine Flechtmaschine (s. Flechtarbeiten), bei welcher durch Teilung des Klöppelweges und Einschaltung von Weichen und Drehleitern in diesen zur Leitung der Klöppel durch die Teilbahnen, neben der gegenseitigen Verschränkung (Kreuzung) der Fäden auch eine Verzwirnung dieser sowie eine zeitweise Ausschaltung arbeitender Klöppel ermöglicht ist. Zu nennen sind ferner die auf Plattstichstickmaschinen (s. Sticken) erzeugten, zu den Guipurespitzen zählenden Luft- oder Aetzspitzen (Fig. 34). Dieselben werden dadurch erhalten, daß die Musterfiguren auf einem dichten Zeugstück eingeflickt und hiernach die zwischen den Figuren stehenden Gewebeteile durch Ansätzen entfernt werden. Nach dem älteren Verfahren sind das Grundgewebe und die Stickfäden von verschiedenem Material (z.B. Baumwolle und Wolle), so daß ihre Zerstörung verschiedene chemisch wirkende Mittel erfordert. In neuerer Zeit werden zu dem Grundgewebe und den Stickfäden gleiche Materialien gewählt und das erstere vor dem Besticken durch Behandeln mit verdünnter Schwefel- oder Salzsäure so vorbereitet, daß es nach dem Besticken beim Erhitzen zerstört wird, oder es werden die Stickfäden mit Salmiakgeist oder alkalischer Lauge durchtränkt und das Grundgewebe nach dem Besticken durch ein Säurebad entfernt.


Literatur: a) Vorwiegend geschichtlichen Inhalts: Beckmann, J., Beiträge zur Geschichte der Erfindungen, Bd. 3, Leipzig 1792, S 225 ff.; Ferguson, S., Histoire du tulle et des dentelles mécaniques en Angleterre et en France, Paris 1862; Hölsbéck, H. v., L'industrie dentellière en Belgique, Bruxelles 1863; Felkin, William, A history of the machinewrought hosiery and lace manufactures, Cambridge 1867; Palliser, B., History of lace, 3 Aufl., London 1875; Séguin, J., La dentelle, Paris 1875; Ilg, A., Geschichte und Terminologie der alten Spitzen, Wien 1876; Braunmühl, C. v., Ueber Technik und Entwicklung der Spitzen; »Kunst und Gewerbe«, Zeitschr. zur Förderung deutscher Kunstindustrie, herausgegeben vom Bayerischen Gewerbemuseum zu Nürnberg, 1882, Heft 2 und 3; Hoffmann, W., Spitzenmusterbuch, herausgegeben vom Oesterreichischen Museum, Wien 1876; Eitelberger, Spitzenmuster, Wien 1874; Cocheris, Spitzenmuster, Paris 1872; Frauberger, Tina, Handbuch der Spitzenkunde, Leipzig 1894; Dreger, Mor., Entwicklungsgeschichte der Spitze, Wien 1901; Hebing, K., Spitzenalbum. – b) Technischen Inhalts: Roland de la Platière, Encyclopédie méthodique, Paris 1784, Bd. 1, S. 236; Keenan, M., Metier à tulle; Armengaud ainé, publication industrielle des machines, outils et appareils, Paris 1853, Bd. 8, S. 351 ff., Taf. 28, 29; Fischer, Hugo, Zur Technologie der Handspitzen, Ziviling. 1878, Bd. 24, Heft 1; Ders., Technologische Studien im sächsischen Erzgebirge, Leipzig 1878, S. 1–18, Taf. I–III; Ders., Die Spitzenmaschine von E. Malhère in Paris; Dinglers polyt. Journal 1881, Bd. 240, S. 274 ff.; D.R.P., Kl. 25, Flecht- und Strickmaschinen; Müller, Ernst, Ueber Bobbinnetmaschinen mit Jacquardeinrichtung, Ziviling. 1884, Bd. 30, S. 513; Raßmussen, S., Klöppelbuch, Anleitung zum Selbstunterricht im Spitzenklöppeln, Kopenhagen 1884; Jamnig und Richter, Die Technik der geklöppelten Spitzen, Wien; Höffer, Ueber Flechtmaschinen, Verhandl. d. Ver. z.[219] Beförd. d. Gewerbefleißes in Preußen 1885, S. 23, 75; Therese de Dillmont, Encyklopädie der weiblichen Handarbeiten, Dornach (Elsaß), S. 515–696; Glafey, H., Die Herstellung der Luftspitzen, Dinglers polyt. Journal 1891, Bd. 280, S. 291; Kraft, Max, Die neue Klöppelmaschine von August Matitsch, ebend. 1897, Bd. 304, S. 204; Voshage, Adele, Das Spitzenklöppeln, 2. Aufl., Leipzig 1902.

Hugo Fischer.

Fig. 1–4.
Fig. 1–4.
Fig. 5.
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Fig. 6.
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Fig. 7–9.
Fig. 7–9.
Fig. 10–13.
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Fig. 14–17.
Fig. 14–17.
Fig. 18., Fig. 19.
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Fig. 20., Fig. 21., Fig. 22.
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Fig. 23.
Fig. 23.
Fig. 24.
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Fig. 25., Fig. 26., Fig. 27 und 28., Fig. 29.
Fig. 25., Fig. 26., Fig. 27 und 28., Fig. 29.
Fig. 30., Fig. 31., Fig. 32.
Fig. 30., Fig. 31., Fig. 32.
Fig. 33.
Fig. 33.
Fig. 34.
Fig. 34.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 215-220.
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